Teil II
CCnetwork: Lassen Sie uns zu diesem russischen Pleistozän-Projekt auf dem COP28 Pavillion zurückkommen. Was hat es damit auf sich?
AD: In aller Kürze, es gibt schon viele Berichte und Filme darüber. Der Pleistozän-Park ist ein Projekt, das seit ein paar Jahren läuft, im Norden Jakutiens, das ist eine russische Region in Ostsibirien. Zwei Wissenschaftler, Vater und Sohn, arbeiten in einer meteorologischen Station hoch oben im Norden und sie kamen auf die Idee, ein Ökosystem aus dem Pleistozän zu schaffen, also einem Zeitalter vor dem Holozän und vor dem Anthropozän. Sie siedeln große Säugetiere, sehr große Tiere in der Gegend an, die dort herumtrampeln, dadurch wächst mehr Gras und beeinflusst den Boden so, dass der Permafrost nicht mehr weiter tauen kann. Sie haben bereits einige große Säugetiere eingeführt, Wisente und eine besondere Rasse von Kühen mit viel Fell. Vor dem Krieg hatten sie sogar eine vorläufige Vereinbarung mit der Yale University, die versucht, per DNA-Manipulation ein Mammut nachzuzüchten.
Diese Mammuts gab es im Pleistozän massenhaft, immer mehr Mammutstoßzähnekommen zutage. Wenn zum Beispiel im Frühjahr die Ufer des Flusses Lena schmelzen, kann man viele Stoßzähne oder Teile davon sehen, davon tauchen viele später auf internationalen Schwarzmärkten auf. Aber die Wissenschaflter haben versucht, eine DNA zu bekommen, die lang genug ist, um sie in ein Elefantenweibchen einzupflanzen und durch längere Zuchtreihen immer näher an die echten Mammuts heranzukommen. Und wenn man dann das Mammut hat, kann man es in einem Park wie diesem wieder ansiedeln, das wäre ja ein vertrautes Habitat für ein Mammut, kalte Graslandschaften.
CCnetwork: Aber was hatte es auf der COP28 damit auf sich?
AD: Es gibt einen russischen Oligarchen namens Andrey Melnichenko. Im Moment ist seine Stiftung der Sponsor dieses Parks, auch auf der COP28. Melnichenko selbst wohnt jetzt hauptsächlich in Dubai, er ist sogar Bürger von Dubai geworden. Er besitzt indirekt eine Reihe von Kohle- und Düngemittelunternehmen und ist seit Jahren sehr aktiv in der Klimapolitik. Er und seine Leute versuchten über seine Unternehmen, aber auch über verschiedene Lobbygruppen der Industrie, kontinuierlich Klimagesetze in Russland zu blockieren. Aber jetzt hat er etwas Besseres gefunden, er spricht jetzt von naturbasierten Lösungen: Wir müssten uns einfach auf die Wiederherstellung von Ökosystemen wie dem Pleistozän-Park und das Pflanzen von Bäumen konzentrieren - dann brauchen wir über die Senkung der CO2-Emissionen gar nicht mehr zu sprechen, das schaffen wir sowieso nicht mehr durch den Umstieg auf erneuerbare Energie.
CCnetwork: Sie haben die Präsentation dieses Projekt als Kuratorin für das von uns geplante Climate Cultures Festival „Fueling East-Warming North” vorgeschlagen. Das war noch vor der COP28? Haben wir da jetzt ein Problem?
AD: Ich denke trotzdem, dass es ein interessantes Projekt ist, ein sehr wichtiges wissenschaftliches Experiment, mit all den Ergebnissen, die sie dabei erhalten. Es macht natürlich erst Sinn, es nach vielen Jahren zu evaluieren, sie befinden sich noch in der Anfangsphase. Es gibt aber auch andernorts Ideen zum Terraforming und zur Landveränderung, viele Diskussionen und Spekulationen, das Pleistozän-Projekt ist ganz konkret. Es wird von zahlreichen wissenschafltichen Intstitutionen, von verschiedenen Regierungen und internationalen Unternehmen unterstützt. Ich denke, es ist als klimaökologisches Projekt wirklich wichtig und man sollte es im Auge behalten.
CCnetwork: Welche Perspektive zum Klimaschutz würden Sie gerne auf dem geplanten Festival fördern?
AD: Erstens ist es unglaublich interessant und auch sehr wichtig, unser Berliner Publikum und auch unser breites internationales Publikum darüber zu informieren, was in der russischen Arktis passiert, was mit den Permafrostregionen passiert. Seit der Krieg in der Ukraine begonnen hat, wurde eine Menge an wissenschaftlicher Kommunikation und Kooperation eingestellt, darüber berichten viele Wissenschaftler. Aber der russische Teil der Arktis und die globale Arktis sind extrem wichtig in Bezug auf die negativen Folgen des Klimawandels. Wir konzentrieren uns sehr oft auf die tropischen Regionen, auf den globalen Süden. Aber was ist mit den Methanbomben, diesen riesigen Methanlöchern, dem schmelzenden Eis, der Art und Weise, wie all das die Artenvielfalt beeinflusst - Was wissen wir darüber?
CCnetwork: Wie könnten Sie das aus einer klimakulturellen Perspektive verdeutlichen?
AD: Zunächst einmal müssen wir wissen, was konkret passiert. Dazu muss man auch verstehen, was derzeit politisch in Russland geschieht und wie die gesellschaftlichen Verhältnisse sind. Wer trifft welche Entscheidungen, was tut die Regierung? Was tun die Unternehmen? Die Unternehmen spielen eine enorme Rolle mit ihren Plänen für die Förderung nicht nur von Öl und Gas in der Arktis, sondern auch von Mineralien, von seltenen Erden oder seltenen Mineralien, die für die digitale Infrastruktur und die Energiewende dringend benötigt werden. Und was ist mit den indigenen Völkern der Arktis? Was ist mit Klima- und Umweltaktivisten? Können sie unter den derzeitigen Bedingungen in Russland noch eine Stimme haben, können wir unter den derzeitigen Bedingungen überhaupt noch einen Dialog mit den Menschen führen, und welche Art von Dialog könnte das sein? Ich unterstütze überhaupt nicht die Agenda des Kremls und den Krieg, deswegen habe ich mich auch entschieden Russland nach dem Beginn des Krieges in der Ukraine in 2022 zu verlassen. Aber Russland ist wirklich ein riesiges Land, es ist im Sinne des Klimas wichtig, was dort geschieht. Mir geht es darum, Kräfte und Stimmen zu finden, mit denen internationale Expert:innen und Aktivist:innen noch interagieren können.
CCnetwork: Gibt es noch eine Chance, Brücken zu bauen zwischen all diesen Intellektuellen im Exil und denen, die geblieben sind?
AD: Ich denke schon, es gibt eine Reihe von Versuchen im Forschungsbereich und ich bin selbst Mitglied vieler Netzwerke, die den Kontakt zwischen Menschen, die Russland verlassen haben, und Menschen, die in Russland geblieben sind, aufrechterhalten. Ein Teil meiner Projekte organisiert den Dialog über die Klimathemen, zwischen Experten in Deutschland, der Europäischen Union und Russland, natürlich nicht mit Regierungsexperten, sondern mit Leuten aus der Zivilgesellschaft, der Wissenschaft und anderen Gruppen. Es ist wichtig, erst einmal zu verstehen, was passiert, und dann diesen Dialog zu führen, alles weitere folgt. Wir müssen abwarten, wie sich die Situation entwickelt.
CCnetwork: Gab es auf der COP28 auch arktische Völker aus Sibirien, waren die irgendwie vertreten? Spielt das indigene Wissen irgendeine Rolle?
AD: Vor dem großen russischen Angriff auf die Ukraine in 2022, ja. Die russischen indigenen Völker haben sogar spezielle Veranstaltungen organisiert über die arktischen Ureinwohner Russlands. Aber bei der COP28 habe ich keine gesehen, speziell russisch-arktische Gruppen habe ich nicht gesehen. Indigene Gruppen an und für sich spielen seit einigen Jahren eine Rolle bei der COP. Viele indigene Gruppen machen Klimaaktionen bei der COP, so gut wie jeden Tag. Es gibt vielleicht 10 oder 12 Protestaktionen täglich, wovon ein paar von indigenen Gruppen durchgeführt werden, die sich sichtbar machen wollen und zeigen: Seht, das ist es, was wir erleben. Das ist es, was wir sehen. So leiden wir.
Einerseits geht es konkret um die Klimaschäden, die sie erleben, und um die Klimarisiken, die sie betreffen. Aber es geht auch viel um das Wissen der Ureinwohner. Heutzutage wächst das Verständnis dafür, dass indigene Gruppen über viel Wissen verfügen, das die moderne Zivilisation aufgegeben hat und nicht nutzt, auch wenn wir uns mit der Krise auseinandersetzen und erkennen, dass die Umweltprobleme durch verschiedene Arten von Wissen, einschließlich des Wissens der Ureinwohner, gelöst werden sollten. Also das Interesse an indigenem Wissen wächst.
CCnetwork: Wie zeigt sich das konkret auf einer COP?
AD: Zum Beispiel bei einer ganzen Reihe von neuen wissenschaftlichen Forschungsprojekten, wo nicht mehr nur professionelle akademische Wissenschaftler irgendwo hingehen und forschen. Sie versuchen andere Interessengruppen einzubeziehen, darunter indigene Gruppen. Bei der COP sind diese eher auf der Protestebene präsent, aber viele indigene Gruppen organisieren ihre eigenen Nebenveranstaltungen, bei denen sie ihre Sichtweise zur Klimapolitik darlegen - Was kann aus indigener Sicht relevant sein? Was kann oder muss getan werden? Aber sie berichten auch direkt von den Menschen, die in diesen gefährdeten Ökosystemen leben und welche Veränderungen sie beobachten, was für uns, die wir in städtischen Umgebungen leben, sehr nützlich ist. Sie erzählen viel darüber, welche Art von Risiken sie tragen müssen, wie ihre Lebensstile bedroht sind, durch den Klimawandel, durch Unternehmen, durch Regierungsentscheidungen zum Bau einer neuen Ölpipeline und anderes.
CCnetwork: Würden Sie sagen, dass indigene Gruppen mit der internationalen Klimabewegung eng verbunden oder ein wichtiger Teil von ihr sind?
AD: Bestimmte Teile indigener Gruppen sind es, wahrscheinlich nicht alle, aber ich habe den Eindruck, dass es innerhalb indigener Gruppen und indigener Gemeinschaften einige Leute gibt, die ganz speziell zum Thema Klima arbeiten und daran interessiert sind, sich mit der internationalen Klimaszene zu vernetzen. Und das meint nicht nur FridaysForFuture, sonden auch, zum Beispiel das Climate Action Network, das größte Netzwerk aller Nichtregierungsorganisationen im Bereich Klimaschutz, oder Greenpeace oder WWF oder Friends of the Earth oder viele andere. Besonders viele dieser Gruppen setzen sich für Amazonien und die Amazonasregion ein. Ich würde schätzen, bestimmte Teile der indigenen Gruppen kooperieren wohl enger mit bestimmten globalen Klimaorganisationen und -bewegungen.
CCnetwork: Glauben Sie, dass ein neuer Impuls aus der indigenen Kultur in die globale Klimabewegung einfließen kann?
AD: Es wird viel darüber geredet und geschrieben, wie sehr wir das indigene Wissen brauchen und dass es uns als Menschheit helfen kann, eine ganze Reihe von Krisen zu lösen. Wir erleben derzeit die so genannte Polykrise, eine Überlagerung von Klimakrise, Biodiversitätskrise, Plastikverschmutzungskrise, Versorgungskettenkrise, Wirtschaftskrise, Kriege, das ist alles miteinander verflochten. Wir können also nicht einfach sagen, eine Krise gelöst, alles gut. Wir müssen nach Systemlösungen suchen und die sollten aus der Kombination verschiedener Lösungsansätze kommen, einschließlich der Ideen indigener Gruppen.
Ich denke es ist sehr wichtig, dass wir diese Stimmen hören, dass wir die Geschichten kennen, dass wir die Perspektive verstehen. Und das gibt uns auch zu denken: was ist eigentlich eine Zivilisation? Gibt es nicht ganz verschiedene Wege zu leben, Wirtschaft zu organisieren, miteinander und füreinander dazusein? Sollten wir nicht einige der Errungenschaften der Zivilisation kritisch betrachten und sehen, welche anderen Lebensformen möglich sind? Wie können Menschen anders leben und was müssen wir lernen, damit wir alle gleichzeitig auf dem Planeten zusammenleben können?